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ADHS: Übermässiger Bewegungsdrang, Konzentrationsmangel, Mangel an Impulskontrollen
ADHS: Übermässiger Bewegungsdrang, Konzentrationsmangel, Mangel an Impulskontrollen

1845 beschrieb ein Frankfurter Nervenarzt zum ersten Mal die Zeichen des Zappelphilipp-/Struwwelpeter-Syndroms.

ADHS gehört zu den häufigsten psychiatrischen Störungen bei Kindern und Jugendlichen, wobei Jungen bis zu sechs mal häufiger betroffen sind als Mädchen.

Experten betonen, dass es sich bei der Aufmerksamkeits-Hyperaktivitäts-Störung keinesfalls um eine Modekrankheit oder die Auswirkung falscher Erziehung handelt. Die Ursache ist eine neurobiologische Funktionsstörung im Gehirn. Die Hauptmerkmale sind: Aufmerksamkeitsstörungen, Impuls- und Wahrnehmungs-Defizite und ein übersteigerter Bewegungsdrang (Hyperaktivität).

Oft wird ein ADHS erst im Kindergarten- oder Schulalter erst richtig wahrgenommen oder diagnostiziert. In einigen Fällen wird gar nie eine Diagnose gestellt oder erst viel später.

Bereits im Säuglingsalter werden aber ADHS-Kinder als schwierig empfunden (häufig sind sie Schrei-Babys) und dieses Schwierigsein kann sich dann über die Lebensjahre hinweg bis ins Erwachsenenalter hinziehen.

Eine frühzeitige Abklärung hilft sowohl den ADHS-Kindern wie auch den Eltern und Betreuern, ein möglichst normales Leben zu leben.

Die Hyperaktivität und die fehlende Aufmerksamkeit kann man nicht auf eine Ursache festlegen, es handelt sich um ein komplexes Zusammenwirken von verschiedenen Faktoren. Dabei spielen neurobiologische - und Stoffwechsel- sowie Funktions-Störungen eine Rolle.

Psychosoziale Einflüsse können als alleinige Ursache bei einem ADHS ausgeschlossen werden. Negative Erfahrungen (eine schwere Kindheit, Traumen etc.) können allerdings den Schweregrad und den Verlauf der Erkrankung beeinflussen.

Körperliche Ursachen

Man nimmt fehlerhafte Informationsverarbeitung zwischen bestimmten Hirnabschnitten, welche für die Wahrnehmung und die Impulskontrolle zuständig sind, als eine der Hauptursachen an. Dabei kommt es zu Störungen bei der Signalübertragung zwischen den Nervenzellen. Diese Störung wird verursacht durch ein Ungleichgewicht der Botenstoffe (Neurotransmitter) in diesen Hirnbereichen.

Auch andere Krankheiten können sich durch ADHS-ähnliche Symptome bemerkbar machen (z.B. Asperger Autismus, Schizophrenie, Epilepsie, Schilddrüsenerkrankungen etc.).

Risikofaktoren

  • Erbliche Vorbelastung; nächste Familienmitglieder von betroffenen Kindern tragen ein 10 bis 15%-iges Risiko, ebenfalls an ADHS zu erkranken. Bei eineiigen Zwillingen liegt die Wahrscheinlichkeit bei 80%, bei zweieiigen bei ca. 30%, dass beide Geschwister Anzeichen eines ADHS aufweisen.
  • Verminderte Intelligenz oder Hochbegabung
  • Andere Krankheiten und deren medikamentöse Behandlungen

Psychosoziale Einflüsse, die ein ADHS verschlimmern können:

  • Schwierige Familienverhältnisse (Streit der Eltern, Trennung, Todesfälle)
  • Psychische Krankheiten in der Familie
  • Erziehungsmängel: Inkonsequenz, fehlende Struktur, häufige Kritiken, unverhältnismässige Bestrafungen

Risikofaktoren während der Schwangerschaft oder Geburt:

  • Nikotin-, Alkohol-, Drogenmissbrauch der Mutter
  • Sauerstoffmangel bei der Geburt

Die drei Hauptsymptome des ADHS sind:

Nach der internationalen Klassifikation (ICD-10) ist dann die Diagnose ADHS gesichert, wenn die drei Hauptsymptome in mindestens zwei Lebensbereichen auftreten.

Aufmerksamkeitsstörungen zeigen sich in allen Lebensbereichen durch:

  • Grosse Ablenkbarkeit
  • Mangelnde Konzentration, zeichnet sich auch aus durch Flüchtigkeitsfehler, mangelnde Geduld für Genauigkeiten (z.B. beim Basteln, Spielen etc.).
  • Abbrechen von Tätigkeiten und immer wieder neues Anfangen von andern Tätigkeiten.
  • Unfähigkeit, vorgegebene Aufgaben in der Schule auszuführen oder Regeln einzuhalten.
  • ADHS-Kinder haben häufig Mühe mit Strukturen; sie verlieren, verlegen, vergessen.

Fehlende oder mangelnde Impulskontrolle (Hyper-Impulsivität) zeigt sich durch:

  • Handlungen ohne vorheriges Nachdenken
  • Grosse Ungeduld
  • Häufiges Dreinreden, lautes und unkontrolliertes Reden, häufiges Wechseln der Themen
  • Schlechtes Integrieren in Gruppen (Kind muss immer auffallen, laut werden, unterbricht ständig andere Gespräche)
  • Stören von familiären oder schulischen Abläufen
  • ADHS-Kinder fühlen sich sehr schnell bedroht, reagieren entsprechend häufig aggressiv
  • Heftige Stimmungsschwankungen, Reizbarkeit, neigen zu Wutausbrüchen
  • Geringe Frustrationstoleranz: sie reagieren auf geringfügige Kritiken oder Vorfälle viel zu heftig.

Übersteigerte Aktivität (Hyperaktivität) zeigt sich durch:

  • Extrem starken Bewegungsdrang: fuchteln mit Händen und Füssen, Unfähigkeit, ruhig zu sitzen (Kinder sind ständig in Aktion).
  • Mühe haben mit Stille, ihr Tun und ihre Spiele sind meistens sehr laut.

Zusätzliche Beschwerden und Symptome

Etwa ein Drittel mit einem Aufmerksamkeits-Defizit-Syndrom weist nebst den Hauptsymptomen noch andere Begleiterscheinungen auf. Die häufigsten sind:

  • Beziehungsunfähigkeit
  • Mangelndes Selbstbewusstsein, Schuldgefühle (ich schaff das nicht!)
  • Motorische und sprachliche Schwierigkeiten
  • Visuelle und das Gehör betreffende Wahrnehmungsstörungen
  • Entwicklungs- und dadurch Leistungsdefizite
  • Lern-, allenfalls geistige Behinderungen
  • Tic-Symptome (ev. Tourette-Syndrom)
  • Psychische Störungen (depressive Stimmungen, Angststörungen, extremes Trotzverhalten)

Alle Kinder, die über längere Zeit und stark unaufmerksam sind, hyperaktiv, stark impulsiv, in der Schule versagen und verhaltensauffällig sind, sollten auf ADHS abgeklärt werden.

  • Ausführliche, umfassende Krankheitsgeschichte mit Einbezug der Familie und der familiären Vorgeschichte
  • Körperliche Untersuchung, inklusive der Bewegungskoordination, der Motorik, Kontrollen der Sinnesorgane
  • Psychologische - und Entwicklungsabklärungen
  • Verhaltensabklärungen, inkl. Befragung von Verwandten, Lehrern, Freunden, Betreuern, Ärzten etc.
  • Messungen der Hirn- und Herzströme: Elektroenzephalogramm (EEG), Elektrokardiogramm (EKG)
  • Laboruntersuchungen zum Ausschluss anderer Erkrankungen
  • Ausschluss anderer Krankheiten wie Asperger Autismus , Schizophrenie, Epilepsie, Schilddrüsenstörungen
  • Ausschluss anderer psychischer Erkrankungen wie Depressionen, Zwangserkrankungen etc.
Für die Behandlung der Hyperaktivitätsstörung werden häufig psychotherapeutische, verhaltenstherapeutische und medikamentöse Behandlungsmethoden miteinander kombiniert.

Nichtmedikamentöse Massnahmen

  • Eltern- und Familientraining, ev. Familientherapie
  • Aufklärungen und Interventionen in der Schule, Kindergarten, ev. Unterbringung des Kindes in einer Sondereinrichtung
  • Verhaltenstherapie des Kindes/Jugendlichen z.B. mit Selbststrukturierungstraining
  • Behandlung von begleitendenden Störungen oder Krankheiten, ev. Psychotherapie, Lern- und Entwicklungstraining

Medikamente

Kinder und Jugendliche mit einem Hyperaktivitätssyndrom werden häufig mit dem Wirkstoff Methylphenidat behandelt. Es handelt sich dabei nicht um ein Beruhigungsmittel, sondern um eine, bei unauffälligen Personen stimulierend wirkende Substanz (Amphetamin), die dem Betäubungsmittelgesetz unterliegt.

Der Wirkstoff reguliert das Ungleichgewicht der Botenstoffe im Gehirn. Die ADHS-Kinder werden ausgeglichener und können meistens den Familien- und Schulalltag somit besser bewältigen. Ausserdem werden diejenigen Nervenzellen stimuliert, die für die Leistungs- und Konzentrationsfähigkeit verantwortlich sind.

In einzelnen Fällen kann der Wirkstoff zu Nebenwirkungen wie Übelkeit, Schlafproblemen, Schwindel, Kopfschmerzen oder Bauchschmerzen führen. Eine sehr seltene Nebenwirkung ist die Wachstumsverlangsamung.

Wichtig zu Methylphenidat

  • Methylphenidat wird zum Teil auch auf der Strasse als Speed angeboten und kann schwere Schäden in der Hirnsubstanz verursachen und bleibende Defekte erzeugen.
  • Der Wirkstoff ist beim internationalen Sport nicht zugelassen (Doping)
  • In Kombination mit andern Drogen eingenommen, kann es zu Vergiftungen kommen (Intoxikation).
  • Atomoxetin heisst ein weiterer Wirkstoff, der für die ADHS-Therapie zugelassen ist.

Die Krankheit ADHS kann nicht geheilt werden. Die Medikamente können nur die Symptome, nicht aber die Ursache bekämpfen.
 
Erst in den letzten Jahren wurden Verlaufsstudien zum ADHS bei Erwachsenen publik. Im Alter von 18 Jahren weist etwa noch ein Drittel der Betroffenen mindestens ein ADHS-Zeichen auf. Im Verlaufe der Jahre sinkt dieser Anteil zunehmend (bei den 25-Jährigen sind es nur noch ca. 8%).

Insgesamt zeigen sich die Beschwerden/Anzeichen eines ADHS bei Erwachsenen nicht mehr so ausgeprägt. Erwachsene haben oft durch jahrelanges Training gewisse ADHS-Phänomene im Griff oder haben sich Vermeidungsstrategien angeeignet (z.B. Stillsitzen an Konzerten, Vorlesungen oder Kino vermeiden sie durch nicht Besuchen der Veranstaltung).

Erwachsene mit der ADHS-Erkrankung leiden stark. Unaufmerksamkeiten beeinflussen ihr Privat- und Berufsleben, oft herrscht ein Chaos um sie herum. Mangelnde Impulskontrolle kann den Betroffenen selber sowie den Menschen um sie herum das Leben zur Hölle machen. Meistens kann der Betroffene ohne psychiatrische oder psychologische Betreuung den Alltag nicht bewältigen.

Für Erwachsene bestehen zur Zeit noch keine direkt auf die ADHS-Erkrankung einwirkende Medikamente. Die beiden Wirkstoffe Methylphenidat und Atomoxetin sind nur für Kinder und Jugendliche zugelassen.

Dr. med. Fritz Grossenbacher

Fritz Grossenbacher hat in Bern Medizin studiert. Er besitzt einen Master of Medical Education der Universitäten Bern und Chicago und ein Zertifikat in Teaching Evidence based Medicine des UK Cochrane Center in Oxford.

Dr. med. Gerhard Emrich

Gerhard Emrich hat in Wien Medizin studiert. Er ist Medizinjournalist mit langjähriger Erfahrung in medical writing.

Doris Zumbühl

Doris Zumbühl ist diplomierte Medizinische Praxisassistentin. Sie verfügt über mehrere Weiterbildungen in den Bereichen Journalismus, IT und Bildbearbeitung.
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