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Abhängigkeit: Die vielen Gesichter der Sucht
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Abhängigkeit: Die vielen Gesichter der Sucht

Man schätzt, dass ca. 90% der Menschen auf die eine oder andere Art abhängig, sprich süchtig  sind. Die Spannweite reicht  von einfacher Gewohnheit bis zur Abhängigkeit mit physischem oder/und psychischem Zerstörungspotenzial. Die Abhängigkeit kann stoffgebunden (z.B. Alkohol, Medikamente, Drogen) oder stoffunabhängig (z.B. Arbeitsucht, Internetsucht, Fernsehsucht, Spielsucht, Kaufsucht etc.) sein.

Die Definition der WHO: Abhängigkeit ist ein Zustand von periodischem oder chronischem Angewiesensein auf bestimmte Substanzen oder Verhaltensweisen. Eine Abhängigkeit ist gekennzeichnet durch das Auftreten von Entzugserscheinungen bei Abwesenheit der Substanz oder der Tätigkeit sowie durch Toleranzentwicklung und die dadurch erforderliche Dosissteigerung ohne Rücksicht auf körperliche oder psychische Zerstörungszeichen.

Die WHO (Weltgesundheitsorganisation) hat den Begriff "Sucht" bereits 1964 durch den Begriff der Abhängigkeit ersetzt. Aber noch heute werden beide Begriffe nebeneinander genutzt. Andere Begriffe sind: schädlicher Gebrauch, Missbrauch.


Die Ursachen für die Entstehung einer Sucht sind vielfältig. Meist aber entwickelt sich eine Abhängigkeit durch das Zusammenwirken verschiedener Faktoren. Sie hängen unter anderem von der Art und Verfügbarkeit der Droge/Tätigkeit, deren Wirkung und dem Abhängigkeitspotenzial sowie von gesellschaftlichen Faktoren (zum Beispiel Gruppenzwang) ab. Ausserdem gibt es Menschen, die generell anfälliger für eine Abhängigkeit sind.


Häufige Risikofaktoren für eine Abhängigkeitsentwicklung:

  • Fehlendes Selbstbewusstsein oder das Gegenteil: Selbstüberschätzung
  • Beeinflussbarkeit, besonders im Teenageralter (Gruppenzwang, negative Vorbildfunktion der Eltern oder Bezugspersonen)
  • Langeweile, innere Leere
  • Unfähigkeit, Probleme anzugehen, Konfliktunfähigkeit
  • Erwünschte Leistungssteigerung (in der Arbeit, im Sport)
  • Beziehungs-/Kontaktstörungen
  • Chronische Krankheiten (psychische oder physische)
  • Gestörte Familienverhältnisse
  • Oft kommt z.B. ein Schicksalsschlag oder ein schwerer Verlust als Auslöser hinzu


Häufige stoffungebundene Abhängigkeiten:

  • Auch stoffungebundene Suchtmittel können einen rauschähnlichen Zustand verschaffen. Dieser Zustand, hervorgerufen durch verstärkte Ausschüttung bestimmter Hormone im Gehirn wie die bekannten Endorphine (Glückshormone), kann vom anfänglichen Genuss in eine Abhängigkeit führen. Auch hier spielen zusätzliche Faktoren wie die Lebenssituation und die Persönlichkeitsstruktur des Einzelnen eine wichtige Rolle, ob eine Abhängigkeit entsteht.


Hier einige Beispiele:

  • Essstörungen (Magersucht, Anorexie), Ess-Brechsucht (Bulimie) und Ess-Sucht (Binge Eating Disorder) sind häufig auch mit einem problematischen Suchtmittelgebrauch verbunden.
  • Co-Abhängigkeit: die Sucht, gebraucht zu werden, Helfersyndrom
  • Arbeiten (Workaholic)
  • Sport: hier sind besonders Marathonläufer oder Body-Builder gefährdet
  • Mediensucht: Internet, Chat, Handy, SMS, Videogames etc.
  • Fernsehsucht: Abhängigkeit von Serien, Soapoperas etc.
  • Sexsucht, Liebessucht, Beziehungssucht (Hörigkeit, Verehren von Idolen etc.)
  • Spielsucht
  • Sucht nach Extremsituationen: Bungee-Jumping, Free-Climbing, Autorasen etc.
  • Stehlsucht (Kleptomanie, krankhaftes Stehlen)
  • Putzsucht
  • Kaufsucht, immer häufiger auch Marken-Sucht. Die Sucht nach Markenartikel ist besonders unter jungen Menschen verbreitet

Im Grunde genommen kann man von jeglichen Tätigkeiten abhängig werden, wenn man sie nicht mehr unter Kontrolle hat und sie das Leben weitgehend bestimmen.


Beispiele von stoffgebundenen Süchten

  • Verschiedene Stoffe können eine psychische oder körperliche Abhängigkeit erzeugen. Solche Stoffe werden auch als Suchtmittel bzw. als Drogen (illegale Suchtmittel) bezeichnet. Ihnen gemeinsam ist, dass sie das Bewusstsein oder das Erleben verändern und angenehm empfundene Gefühle hervorrufen können. Solche Gefühlsveränderungen reichen von einer leichten Anregung bis zu tiefreichenden Veränderungen des Bewusstseinszustandes und des Gefühlserlebens.


Bewusstseinsaktivierend, anregend

  • Legale Suchtmittel wie Alkohol, Koffein, Nikotin
  • Aufputschmittel wie Amphetamine, Speed
  • Extasy und andere Designerdrogen
  • Kokain
  • Schnüffelstoffe oder Lösungsmittel (z.B. Klebstoffe, Reinigungsmittel, Sprays, Nagellackentferner, Farbverdünner oder Benzin)
  • Lachgas

Bewusstseinsverengend, beruhigend:

  • Tranquilizer (Schlafmittel und Beruhigungsmittel, in erster Linie Benzodiazepine)
  • Schmerzmittel
  • Alkohol in grösseren Mengen
  • Opiate wie Morphium oder Heroin


Bewusstseinsverändernd, halluzinogen

  • Cannabis (Marihuana)
  • LSD (Abkürzung für Lysergsäure-Diethylamid)
  • Peyote, bekannter unter dem Namen Schnapskopf-Kaktus (meskalinhaltig)
  • Pilze (Magic Mushrooms)

Polytoxikomanie

  • Unter Polytoxikomanie versteht man eine Mehrfachabhängigkeit. Viele Suchtkranke konsumieren verschiedene Substanzen (Alkohol, Drogen, Tabletten); dadurch wird die Behandlung erheblich erschwert.

 

Tablettensucht
Tablettensucht

Abhängigkeit entwickelt sich in der Regel nicht von heute auf morgen. Oft dauert es Monate oder sogar Jahre, bis sich aus purer Gewohnheit ein Missbrauch oder später eine Abhängigkeit entwickelt. Bei gewissen Substanzen geht die Entwicklung zur Abhängigkeit hingegen sehr schnell.

Beispiel Alkohol und Heroin: Viele Menschen können mit moderatem Alkoholkonsum gut umgehen, ohne dass sie eine Abhängigkeit entwickeln.
Andere Substanzen führen durch die starke Wirkung innerhalb kürzester Zeit zur psychischen und/oder Körperlichen Abhängigkeit: Heroin z.B. führt innerhalb weniger Tage zur psychischen und/oder körperlichen Abhängigkeit, Crack (ein Kokainprodukt) verursacht aufgrund der starken euphorisierenden Wirkung manchmal schon nach einmaligem Gebrauch.

Stadien der Suchtentwicklung

  • Probierphase: Hier geht es ums Ausprobieren, Neues kennen lernen. Nicht jede Substanz macht sofort süchtig. Einige Substanzen hingegen können schon nach dem ersten Konsum abhängig machen (z.B. Heroin, Crack)
  • Missbrauchsphase: Übermässiger Konsum; hier handelt es sich meistens um psychoaktive Substanzen (Rauschmittel, Drogen) oder um Alkohol. Bereits in dieser Phase kann es zu körperlichen und psycho-sozialen Schäden kommen, die jedoch in Kauf genommen werden.
  • Gewöhnungsphase: Bei wiederholten und regelmässigen Suchtmittelkonsums ''gewöhnen'' sich Psyche und Körper an die Wirkung der schädlichen Substanz (Toleranzbildung). Als Folge davon muss die Dosis gesteigert werden, um die gewünschte Wirkung zu erzielen.
  • Psychische, körperliche Abhängigkeit: In dieser Phase ist praktisch kein Verzicht mehr möglich, das ganze Leben wird von der Sucht bestimmt. Freunde, Familie, Beruf treten in den Hintergrund. Versuche, davon wegzukommen, scheitern. Häufig bekommen Betroffene auch  Probleme mit der Justiz (Beschaffungskriminalität, Prostitution, Geldunterschlagung etc.)

Körperliche und psychische Entzugserscheinungen bei Suchtmitteln

Hat sich eine körperliche und/oder psychische Abhängigkeit entwickelt, dann treten beim teilweisen oder vollständigen Entzug des Suchtmittels entsprechende Entzugserscheinungen auf. Sie sind abhängig davon, welche Suchtmittel, wie viel und wie lange konsumiert wurde.

Zu den körperlichen Entzugserscheinungen gehören: Unruhe, Schweissausbrüche, Frieren, Zittern, Schlafstörungen, Übelkeit, Erbrechen, Schmerzen, Kreislaufstörungen bis hin zu lebensbedrohlichen Zuständen mit schweren Krampfanfällen.
Psychische Entzugserscheinungen äussern sich häufig als Unruhezustände, Angst und depressive Verstimmungen bis hin zu Selbstmordgedanken.

Die Entzugserscheinungen treiben die Süchtigen dazu, das jeweilige Suchtmittel erneut zu nehmen.

Beim Auftreten psychischer oder psychotischer Symptome ist daran zu denken, dass Suchtmittel häufig auch zum Erträglichmachen von Symptomen psychischer Krankheiten konsumiert werden.

Zeichen einer stoff-ungebundenen Sucht

Bei der stoffungebunden Sucht vor allem psychisch-soziale Probleme im Vordergrund, obwohl auch hier körperliche Beschwerden auftreten können.

Folgende Zeichen können auf ein süchtiges Verhalten hindeuten:
  • Häufige Verlangen, z.B. ins Internet einzuloggen, ins Casino zu gehen, zu Zocken, Chatten, Fernzusehen; dadurch Vereinsamung und Interessensverlust an anderen Themen
  • Kontrollverluste (d.h. z.B. längeres und inadäquates Verweilen online als vorgesehen) verbunden mit steigenden zunehmenden Schuldgefühlen
  • Störung des Sozialverhaltens,  Vernachlässsigung von Freunden, Partner, Familie
  • Nachlassen der Arbeitsfähigkeit
  • Verheimlichung/Bagatellisierung der Gewohnheiten
  • Verschuldung und dadurch Abdriften in die Kriminalität
  • Verlust der Zeitkontrolle
  • Grad der Befriedigung baut sich immer schneller ab (eine Art Toleranzentwicklung)
  • Psychische Störungen bei ''Entzug'', z.B. in Form von Nervosität, Reizbarkeit, Depression, Schlafstörungen, Aggressivität, Suizidgedanken.
  • Mehrfach fehlgeschlagene Versuche der Einschränkung des Suchtverhaltens

Zur Diagnose einer Abhängigkeit werden verschiedene Untersuchungen und Abklärungen durchgeführt. Dazu gehören unter anderem:

  • Ausführliche Krankengeschichte (Anamnese) unter Einbezug der geschilderten Symptome. Häufige Arztbesuche wegen unklarer oder vager Beschwerden, wiederholte Rezeptforderungen von Hustenmitteln, Schmerzmitteln oder Tranquillizern oder auch häufige Unfälle können ein Hinweis auf eine verleugnete Abhängigkeit sein.
  • Suchtanamnese: Welche Substanzen, wann, wie  oft und in welchen Mengen; seit wann besteht die Sucht, besteht das Gefühl die Kontrolle darüber zu verlieren; angestrebte Wirkung der Substanzen. Stoffungebundene Sucht (z.B. Internetsucht): wieviel Zeit wird dafür aufgewendet und wie stark schränkt es den Alltag ein. Wurde bereits versucht aufzuhören (Selbstentzug, ärztliche Entzungsbehandlung).
  • Soziale Anamnese: Familie, soziales Umfeld, Arbeit, Freizeitgestaltung, Finanzen, Straffälligkeiten.
  • Körperliche Untersuchung: Feststellen von körperlichen Krankheiten als Mitverursacher, Begleiter oder Folge der Sucht
  • Labor: Drogenscreening, Urin, Blutuntersuchungen (Leber- und Nierenwerte, Entzündungsparameter, ev. Hepatitis, Tuberkulose, HIV)
  • Psychiatrische Abklärung: Untersuchung auf psychiatrische Erkrankungen, die mit der Suchterkrankung in Zusammenhang stehen (Depression, Angststörungen und Zwangsstörungen, traumatische Erlebnisse, Schizophrenie, etc.)
Abhängigkeit: Selbsthilfegruppen sind eine grosse Hilfe
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Abhängigkeit: Selbsthilfegruppen sind eine grosse Hilfe

Der Weg aus der Abhängigkeit (Sucht) ist lang und umso langwieriger, je länger die Abhängigkeit besteht. Da sich der süchtige Mensch in einem Teufelskreislauf befindet, dem er allein nicht mehr entkommen kann, ist zum Ausstieg professionelle Hilfe von aussen unerlässlich. Voraussetzung für eine erfolgreiche Therapie: Die Einsicht des Betroffenen, dass eine Abhängigkeit besteht und der Wille zur Aufgabe der Abhängigkeit und zur Abstinenz. In Fällen körperlicher Abhängigkeit ist ausserdem ein Entzug notwendig, welcher eine fachmännische Unterstützung und Betreuung bedarf. Bei Opiatabhängigen (z.B. Heroin) kann wenn diese derzeit noch keinen Entzug wünschen oder dieser noch nicht realisiert werden kann  eine Substitutionstherapie erfolgen.

Die Suchtbehandlung verläuft in verschiedenen Phasen:

  • Kontaktphase: Der erste Schritt in einer Suchttherapie ist die Kontaktaufnahme der abhängigen Person mit einer Beratungs- oder Betreuungsstelle. Hilfe findet man bei Selbsthilfegruppen (gibt es für jede Art der Sucht und in jeder grösseren Stadt), in Suchtzentren, Suchtberatungsstellen, bei Ärzten oder Therapeuten, Sozialarbeiter und in jeder Klinik.
  • Motivationsphase: Ziel ist die Einsicht des Abhängigen für sein Problem sowie die Förderung des Drangs nach Suchtfreiheit.
  • Entgiftungsphase (körperliche Entwöhnung): Bei den stoffabhängigen Süchten erfolgt meist eine stationäre Entgiftung. In der Regel wird der Körper schrittweise vom Gift entwöhnt, um die Entzugserscheinungen in Grenzen zu halten.
  • Entwöhnungsphase: Unmittelbar nach dem Entzug folgt die Entwöhnungsphase. Es gibt dazu stationäre oder ambulante Fachinstitutionen.In dieser Phase soll das Leben ohne Suchtmittel erlernt werden. Sie beinhaltet: Psychotherapie, Familientherapie, Verhaltenstherapie, Sicherheitstraining, Entspannungstraining. Dauer von 6 Wochen bis zu einem halben Jahr.
  • Nachsorge und Rehabilitation: Bei der Nachsorge steht die Rückfallprophylaxe im Vordergrund. Ausserdem soll die Wiedereingliederung in die Gesellschaft begleitet und unterstützt werden (z.B. Hilfe bei Job- und Wohnungssuche). Das geschieht mit Hilfe von Selbsthilfegruppen, Hausarzt, Wohngemeinschaften oder ambulanten Fachinstitutionen.

Ausserdem soll die Wiedereingliederung in die Gesellschaft begleitet und unterstützt werden (z.B. Hilfe bei Job- und Wohnungssuche). Bei der Drogenabhängigkeit und Medikamentenabhängigkeit schaffen die Wenigsten den Weg in die Unabhängigkeit mit einem Selbstentzug. Die Abstinenzrate im ersten Jahr nach einer Entwöhnungsbehandlung liegt bei Drogenabhängigen in den meisten Untersuchungen zwischen 20-40 Prozent. Häufig versterben Drogenabhängige  durch Überdosis, Selbstmord,  Unfälle oder Infektionen (Hepatitis C, Aids ).

Dr. med. Gerhard Emrich

Gerhard Emrich hat in Wien Medizin studiert. Er ist Medizinjournalist mit langjähriger Erfahrung in medical writing.

Dr. med. Daniel Desalmand

Daniel Desalmand hatte in Bern Medizin studiert. Nach dem Studium hatte er mehrjährige klinische Erfahrung in Chirurgie und Innerer Medizin erworben bevor er sich dem Wissenschaftsjournalismus zugewandt hatte.

Doris Zumbühl

Doris Zumbühl ist diplomierte Medizinische Praxisassistentin. Sie verfügt über mehrere Weiterbildungen in den Bereichen Journalismus, IT und Bildbearbeitung.
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