Depressionen und Suizidalität im Kindes- und Jugendalter
Ein Bericht von Philipp Schmutz, Psychologe und Fachmitarbeiter Prävention bei der Stiftung Berner Gesundheit zum Welt-Suizid-Präventionstag. Ausserdem: Experteninterview zum Medienverhalten bei Suizid.
Zum Familienalltag gehört es dazu, dass Kinder weinen, schreien oder Bauchschmerzen haben. Es gehört auch dazu, dass Jugendliche manchmal "null Bock auf nichts" haben oder den Eltern die Tür vor der Nase zuknallen.
Doch wann ist das Verhalten noch normal und wann ist es Ausdruck einer Depression? Eine Depression ist eine psychische Störung, welche zwei Wochen oder länger dauert und durch Freudlosigkeit, Interessensverlust sowie Antriebsmangel charakterisiert ist. Dazu kommen Symptome wie verminderte Konzentration und Aufmerksamkeit, Appetitverlust, Schlafstörungen, vermindertes Selbstvertrauen und Selbstwertgefühl sowie eine negative Zukunftsperspektive und Suizidalität.
Gemäss nationalem Gesundheitsbericht 2008 durchleben in der Schweiz etwa 20% der Personen mindestens einmal in ihrem Leben eine Depression. Je nach Studie haben zwei bis vier Prozent der Primarschulkinder und drei bis neun Prozent der Jugendlichen bereits eine Depression durchgemacht. Leider werden Depressionen bei Kindern und Jugendlichen oft verkannt und mit Aufmerksamkeitsstörungen, Hyperaktivität, Angst oder körperlichen Störungen verwechselt.
Zudem werden Alkohol- und Drogenmissbrauch sowie delinquentes (verbrecherisches) Verhalten häufig als pubertär angesehen, wodurch keine weiteren Überprüfungen stattfinden. Dabei ist es von grosser Wichtigkeit, eine Depression möglichst früh zu erkennen und zu behandeln, um eine Chronifizierung zu verhindern. Mittlerweile ist ein Grossteil der Depressionen gut behandelbar.
Nicht selten haben depressive Menschen Todeswünsche oder Suizidgedanken. Während die Suizidrate mit zunehmendem Alter zunimmt, sind es die 15- bis 29-Jährigen, welche die meisten Suizidversuche begehen. Am stärksten betroffen sind dabei die 20- bis 24-jährigen Frauen.
In der Schweiz nehmen sich jährlich ca. 1300 Personen das Leben; darunter mehr Männer als Frauen. Die Zahl der Suizidversuche liegt dabei aber etwa zehnmal höher. 90% der Personen, welche sich das Leben nehmen, leiden unter einer psychischen Störung; ein Grossteil unter Depressionen.
Wie Eltern einer Depression oder einer Suizidalität ihrer Kinder vorbeugen können
Grundsätzlich kann jede Person depressiv oder suizidal werden. Dennoch gibt es einige Risikofaktoren, welche die Wahrscheinlichkeit erhöhen. Neben der genetischen Veranlagung sind dies beispielsweise Stress, sexueller Missbrauch, Misshandlung, Mobbing, soziale Vereinsamung oder fehlende Problemlösefähigkeiten. Es gibt jedoch auch Schutzfaktoren, also Aspekte, welche diesen Risikofaktoren entgegenwirken und die Kinder und Jugendlichen gesund halten.
Beispiele für solche Schutzfaktoren sind: Stressbewältigungsfähigkeiten, Selbstvertrauen, die Fähigkeit zur Suche nach sozialer Unterstützung sowie eine gute Beziehung zu den Eltern. Wenn es Eltern gelingt, die Risikofaktoren zu verringern und gleichzeitig die Schutzfaktoren zu fördern, so verringert sich die Wahrscheinlichkeit, dass ihre Kinder depressiv oder suizidal werden.
Warnsignale erkennen und handeln Typische Warnsignale bei Depressionen sind ein verringertes Selbstvertrauen und Selbstwertgefühl, Müdigkeit, Reizbarkeit, Vernachlässigung von Freunden und Hobbys, körperliche Beschwerden sowie ein Leistungs- und Motivationsabfall in der Schule. Da Kinder oft Mühe haben, Auskunft darüber zu geben, wie sie sich fühlen, ist es gerade in diesem Alter wichtig, auf sichtbare Symptome wie Weinen, Spielunlust, verringerte Gestik und Mimik, erhöhte Reizbarkeit und körperliche Symptome wie Kopf- oder Bauchschmerzen zu achten.
Bei Suizidalität kommen weitere Warnsignale dazu: Häufige Auseinandersetzung mit dem Tod (z.B. in Gedichten, Aufsätzen, Zeichnungen oder im Gespräch), Fragen zum Testament, Erledigen von Unerledigtem, Verschenken von geliebten Gegenständen, Stimmungsaufhellung nach einer längeren Phase der Niedergeschlagenheit oder Reizbarkeit.
Eltern, welche solche Warnsignale wahrnehmen, sollten ihre Kinder auf diese Beobachtungen ansprechen, nachfragen, was deren Ursachen sind und Unterstützung anbieten. Im Zweifelsfall ist es ratsam, mit einer Fach- oder Beratungsstelle Kontakt aufzunehmen, um die eigene Situation zu reflektieren und die weiteren Schritte zu planen.
Hier finden Eltern Unterstützung
- Berner Gesundheit: Vorträge für Eltern, Lehrpersonen, Berufsbildende sowie Ausbildungsverantwortliche zum Thema, www.bernergesundheit.ch, Tel. 0800 070 070
- Erziehungsberatung: bei Fragen und Schwierigkeiten der Entwicklung, Erziehung und Schulung, www.erz.be.ch, Rubrik: Erziehungsberatung
- Elternnotruf: www.elternnotruf.ch, Tel. 0848 35 45 55 (rund um die Uhr)
Suizid und Medienverhalten
Interview mit Timur Steffen Maurer, Psychologe FSP zu neuen Erkenntnissen bei der Rolle der Medien bei der Suizidprävention.*
Am 1. September 2011 ging es an einem Medienworkshop um die Rolle der Medien bei der Suizidprävention. Gibt es dazu neue Erkenntnisse?
TS: Suizide können durch unsorgfältige Berichterstattung der Medien ausgelöst werden. Diese Nachahmungs-Suizide werden nach Goethes Werther als Werther-Effekt bezeichnet.
Neu gibt es nun auch empirische Daten dazu, wie Berichte über bewältigte suizidale Krisen weitere Suizide verhindern können. Dieser positive Effekt wird Papageno-Effekt genannt, nach der Figur des suizidalen Papageno aus Mozarts Zauberflöte, der von drei Knaben an die Einmaligkeit des Lebens und dessen Chancen erinnert wird. Durch den Fokus auf die Bewältigungsmöglichkeiten lässt Papageno von seinen suizidalen Plänen ab.
Falls Medien berichten wollen oder müssen, sollen sie den Fokus deshalb auf den Papageno-Effekt ausrichten. Die «Empfehlungen zur Medienberichterstattung über Suizid» des Berner Bündnis gegen Depression enthalten gute, empirisch belegte Tipps hierzu.
Wann ist aus Ihrer Sicht Medienberichterstattung zum Thema Suizid am gefährlichsten?
TS: Allgemein gilt: Je grösser die Aufmachung eines Berichtes über Suizid und je emotionaler der Inhalt, desto häufiger kommt es zu Nachahmungen: vor allem bei Titelgeschichten mit Schlagzeilen und Fotos. Die Nachahmungsgefahr steigt mit der Identifikation der Lesenden mit dem Betroffenen, der Glorifizierung der Tat, der Aufmerksamkeit und der konkreten Handlungsanleitung. Entscheidend ist also neben der Frage, ob berichtet wird vor allem auch die Frage, WIE berichtet wird.
Wie können insbesondere PsychologInnen, PsychiaterInnen wie auch HausärztInnen zur Suizidprävention beitragen?
TS: Gegenüber Fachleuten und Teammitgliedern sollten Aufklärung und Information im Vordergrund stehen.
Gegenüber Patientinnen und Patienten sollte neben dem bewussten Wertschätzen alternativer Lösungen und dem Angebot von Beziehung und Hilfe ein direktes, aber behutsames Ansprechen von Suizidplänen alltäglich werden.
*Lic. phil. Timur Steffen Maurer arbeitet bei den Universitären Psychiatrischen Diensten Bern (UPD), ist Mitglied im Care Team des Kantons Bern und Vorstandsmitglied im Berner Bündnis gegen Depression BBgD.
05.09.2011