Körperliche Aktivitäten senken das Schlaganfall- und Demenzrisiko
Regelmässige körperliche Aktivitäten -auch im Alter - scheinen das Risiko, eine Demenz oder einen Schlaganfall zu erleiden, zu senken, wie Experten der Deutschen Neurologischen Gesellschaft nach einer Studienanalyse schreiben.
Rätsel lösen, Gedichte oder Fremdsprachen lernen – jeder kennt das als Gehirnjogging. Dass man aber mit regelmässigem Sport dem geistigen Abbau regelrecht davonlaufen kann, das wissen erst wenige.
Studien weisen darauf hin, dass geistige Aktivität zwar Gehirnzellen im Alter bewahrt – aber erst in Kombination mit körperlicher Aktivität das Nervenwachstum stimuliert und dem Abbau entgegen wirkt. Bewegung kann sogar das Risiko neurologischer Erkrankungen wie Schlaganfall oder Alzheimer-Demenz deutlich senken. Neurowissenschaftler und Neurologen von der Deutschen Gesellschaft für Neurologie fassen zusammen, was die Wissenschaft weiss – und welche Massnahmen am effektivsten vorbeugen.
„Körperliche Inaktivität ist weltweit die vierthäufigste Todesursache und ein wichtiger Auslöser vieler Volkskrankheiten“, betont Professor Carl Reimers, Chefarzt der Klinik für Neurologie der Zentralklinik Bad Berka. Etwa 1.4 Millionen Menschen sind in Deutschland an einer Demenz erkrankt. Die Zahl wird sich nach Vorausberechnungen der Bevölkerungsentwicklung bis 2050 verdoppeln, sofern kein Durchbruch in Prävention und Therapie gelingt. In einer Metaanalyse von Studien, die bis Anfang 2012 publiziert wurden, untersuchten Reimers und Kollegen, ob sich ein Demenz-präventiver Effekt von Bewegung tatsächlich epidemiologisch belegen lässt.
Sport wirkt sich sowohl kurz- wie auch langfristig positiv aus
Das Ergebnis: Regelmässige körperliche Aktivität kann sich sowohl kurz- als auch langfristig positiv auf kognitive Leistungen auswirken. Bei älteren Menschen sinkt das Risiko für eine Alzheimer-Demenz um 37 Prozent und für leichtere kognitive Defizite sogar um 46 Prozent. „Der Effekt ist unabhängig vom Lebensalter. Sport und Bewegung erhöht auch bei Jugendlichen die Leistungsfähigkeit des Gehirns“, ergänzt Professor Barbara Tettenborn, Chefärztin der Klinik für Neurologie am Kantonsspital St. Gallen. Kurzzeitige Belastungen bis zu einer Stunde verbessern Informationsverarbeitung und Reaktionszeit, bei langfristigem Training lässt sich eine Steigerung der Aufmerksamkeit, der Verarbeitungsgeschwindigkeit und der Merkfähigkeit feststellen.
Bewegung senkt zudem das Risiko für einen Schlaganfall, der in Deutschland jedes Jahr rund 270.000 Menschen trifft, etwa die Hälfte davon im erwerbsfähigen Alter. Schlaganfälle sind der häufigste Grund bleibender körperlicher Beeinträchtigung und eine finanzielle Belastung für die Sozialsysteme der industrialisierten Länder.
„Jeden Tag sterben daran in Deutschland 200 bis 300 Menschen. Umso bedeutsamer ist, dass sich etwa ein Viertel aller Schlaganfälle alleine durch Sport oder regelmässige körperliche Aktivität verhindern lassen. Berücksichtigt man zudem die günstige Wirkung etwa auf Blutdruck, Fett- und Zuckerstoffwechsel, so wird der Effekt vermutlich noch grösser“, erklärt Dr. Guntram Ickenstein, Chefarzt der Klinik für Neurologie am Helios Klinikum Aue.
Sport ist Therapie – die Wissenschaft sucht nach den biologischen Grundlagen
„Die präventive und therapeutische Wirksamkeit von Bewegung wurde in einer Fülle von Studien mit einem Evidenzgrad belegt, wie er für buchstäblich keine andere allgemeine Massnahme besteht“, bestätigt auch Professor Gerd Kempermann, Sprecher des Deutschen Zentrums für Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE) in Dresden und Forschungsgruppenleiter am DFG-Forschungszentrum für Regenerative Therapien Dresden (CRTD). Welche Mechanismen der Wirksamkeit von Bewegung zugrunde liegen, wie sich Dauer und Intensität des Trainings auswirken und wie sich diese wertvolle, buchstäblich nebenwirkungsfreie Massnahme medizinisch nutzen lässt, lernt die Wissenschaft allerdings erst langsam zu verstehen.
Professor Kempermann untersucht, welchen Beitrag die adulte Neurogenese – also die Neubildung von Nervenzellen in erwachsenen Gehirnen – für gesundes Altern leistet. Und ihn interessiert, wie diese Neubildung zum Beispiel durch körperliche Aktivität gefördert werden kann, um neurodegenerativen Erkrankungen vorzubeugen, sie zu kompensieren oder im besten Fall langfristig sogar zu heilen.
Sport fördert die Neubildung, geistige Aktivität sichert den Fortbestand der Reserven
Die Resultate von Professor Kempermann lassen darauf schliessen, dass die adulte Neurogenese, die beim Menschen ausschliesslich im Hippocampus stattfindet, durch körperliche und geistige Aktivität zunimmt. Beide Faktoren wirken dabei unterschiedlich auf das Gehirn: Während körperliche Aktivität das Wachstum neuer Gehirnzellen stimuliert, fördern geistige Aktivität und Lernen vor allem das Überleben neu gebildeter Neurone. In Tierversuchen konnte Kempermann zeigen, dass der Effekt am grössten ist, wenn Bewegung und kognitives Lernen zusammenkommen: Mäuse, die sich viel bewegen, bilden markant viele neue Nervenzellen im Gehirn. Bei Mäusen, die während der Bewegung Aufgaben lösen, bleiben diese auch bis ins fortgeschrittene Alter bestehen.
„Um das Gehirn für Neues offen zu halten, sollte daher körperliche mit geistiger Aktivität einhergehen“, rät der Neurowissenschaftler. So wird eine „neurogene Reserve“ aufgebaut, die dazu beiträgt, kognitiv erfolgreicher zu altern und die Auswirkungen neurodegenerativer Erkrankungen besser zu kompensieren. „Es gibt viele Faktoren, seien sie genetisch oder umweltbedingt, die bestimmen, ob wir gesund altern“, so Kempermann. „Aber einen nicht zu unterschätzenden Anteil haben wir selbst in der Hand: Bewegung und körperliche Aktivität sind ein einfaches, buchstäblich nebenwirkungsfreies Rezept gegen Gedächtnisverlust im Alter, das wir viel stärker nutzen sollten.“
24.09.2013