Psychisches Leiden in der Arbeitswelt: Wie abhelfen?
Was tun, damit weniger Menschen am Arbeitsplatz psychisch krank werden? Dieser Frage ging das Forum der Caritas nach. Referenten forderten: Mehr Arbeitsplätze, mehr Kooperation statt Konkurrenz unter den einzelnen Amtsstellen, sowie die Eingliederung von psychisch Behinderten.
Gemäss Bundesamt für Statistik leidet fast die Hälfte der Erwerbstätigen unter starken nervlichen Belastungen. Dies zeigt sich auch in den Zahlen der IV-Neuanmeldungen: Bei gut einem Drittel der IV-Neurentner lautet die Diagnose "psychische Überlastung".
Im folgenden Artikel lesen Sie eine Zusammenfassung der Meinungen und Forderungen verschiedener Referenten aus Wirtschaft, Politik und Sozialwesen. Ingesamt nahmen 400 Personen an der Veranstaltung teil.
Ruedi Meier, Sozialdirektor der Stadt Luzern und Präsident der Städteinitiative Sozialpolitik sagt, dass vor allem schwierig zu vermittelnde Personen heute früher ausgesteuert und dadurch auf Sozialhilfe angewiesen sind. Klar ist, dass viele Arbeitslose zu wenig qualifiziert sind, aber: "Es gibt zu wenig Arbeitsplätze auf dem Arbeitsmarkt", betont Meier. Der Sozialdirektor fordert zusätzliche Anstrengungen der Wirtschaft und stärkere Partnerschaften zwischen "Wirtschaft und Sozialhilfe". Ausserdem braucht es neue Wege der Sozialhilfe, um die grösser werdenden Probleme zu bewältigen und zu finanzieren, so Meier.
Anstelle von Konkurrenz zwischen Bund und Kantonen müsste vermehrt eine Kooperation entstehen, fordert Carlo Knöpfel, der Leiter des Bereichs Grundlagen bei Caritas Schweiz. Die Früherkennung der "Invalidisierung" sei wichtig. Nur so kann vermieden werden, "dass Betroffene von Amt zu Amt laufen oder weitergeschoben werden", so Knöpfel. Als Lösungsvorschlag sieht er die Errichtung eines einheitlichen Sozialschalters, an den sich Hilfesuchende wenden könnten.
Blaise Matthey, stellvertretender Generaldirektor der Féderations des entreprises romandes (FER), macht auf unternehmerische, zum Teil paradoxe Perspektiven aufmerksam: Einerseits müssten Gewinne erwirtschaftet werden, andererseits sind gerade kleinere und mittlere Unternehmen (KMUs) einem grossen Konkurrenzkampf ausgesetzt. Dadurch steigt natürlich auch der Druck bei den Arbeitnehmern. Paradox: "Ohne Wertvermehrung keine soziale Sicherheit", so Matthey.
Gudela Grote, Professorin für Arbeits- und Organisationspsychologie an der ETH Zürich, wies in ihrem Vortrag auf verschiedene Gefahren der heutigen Arbeitswelt hin: Telearbeit, Jahreszeitarbeit (z.B. auf dem Bau), befristete Arbeitsverträge, leistungsabhängige Entlöhnung. Grote stellt die Frage, wer mit solchen flexibleren Arbeitsbedingungen am Schluss mehr gewinne: der Arbeitgeber oder der Arbeitnehmer.
Für Neisa Cuonz, der Leiterin Fachdienst für berufliche Eingliederung der IV-Stelle Luzern, ist die Wiedereingliederung psychisch Behinderter in den Arbeitsmarkt, ein dringliches Problem. Dafür müssten aber entsprechende Massnahmen geschaffen werden. Eine erfolgreiche Eingliederung fordet eine intensive Zusammenarbeit zwischen allen Beteiligten. Es braucht ein umfassendes Netzwerk. Darin müssten, laut Cuonz, sowohl medizinisch-psychiatrische Aspekte, die Arbeitsmarktsituation, sowie auch die individuelle, d.h. behinderungsangepasste Eingliederung ein Thema sein.
Zusammengefasst kann man sagen, dass einerseits individuelle Lösungen für jeden Einzelnen gesucht werden müssen. Anderseits müssen Arbeitgeber, Sozial- und Bundesämter verstärkt zusammenarbeiten. Denn: "Eingliederung ist ein zentrales Thema nicht nur bei der IV,
sondern eines, das uns alle etwas angeht", so Cuonz.
30.01.2006