Testosteron macht gar nicht aggressiv
Testosteron macht Menschen nicht, wie oft behauptet, aggressiv und selbstsüchtig. Zu diesem Schluss kommt eine Studie von Forschern der Universität Zürich. Im Gegenteil: Das Sexualhormon mit dem schlechten Ruf kann sogar faires Verhalten fördern.
Seit Jahrzehnten werde dem Geschlechtshormon Testosteron eine Rolle zugeschrieben, die für Aggressivität stehe, teilte die Universität Zürich am Dienstag mit. Die Forschung schien dies zu bestätigen: Die Kastration männlicher Nagetiere führt zum Beispiel dazu, dass die Streitlust der Tiere abnimmt.
Daraus zu folgern, Testosteron wirke beim Menschen gleich, war aber ein Fehlschluss, wie Forscher um Christoph Eisenegger und Ernst Fehr nun im Fachmagazin "Nature" zeigen. Die gemeinsam mit Kollegen der Royal Holloway London durchgeführte Studie legt eher nahe, dass das Hormon zu einem stärkeren Bewusstsein für den eigenen sozialen Status führt.
Verhandlungsexperiment
Für die Studie nahmen rund 120 weibliche Versuchspersonen an einem Verhandlungsexperiment teil, in dem zwei Personen über die Aufteilung eines realen Geldbetrags verhandelten. Eine Probandin machte ein Angebot, das fair oder unfair sein konnte. Die Verhandlungspartnerin konnte das Angebot annehmen oder ablehnen.
Je fairer der Vorschlag, desto wahrscheinlicher war es, dass die Partnerin akzeptierte. Nur so gab es für die Probandinnen Geld zu verdienen: Kam keine Einigung zustande, verdienten beide Parteien nichts. Vor dem Spiel erhielten die Versuchspersonen entweder eine Dosis Testosteron oder ein Scheinpräparat verabreicht.
Nach der gängigen Meinung wäre zu erwarten, dass die Probandinnen mit Testosteron eine aggressive, selbstbezogene und riskante Strategie wählen - ungeachtet der möglichen negativen Auswirkungen auf den Verhandlungsprozess. Doch das Experiment zeigte das Gegenteil.
Fairer mit Testosteron
Frauen mit künstlich erhöhtem Testosteronspiegel machten durchs Band die besseren, faireren Angebote als jene, die Scheinpräparate erhielten. Sie verminderten so das Risiko einer Zurückweisung durch ihre Verhandlungspartnerin.
Aufgrund dieses Resultats vermuten die Forscher, dass Testosteron nicht die Aggressivität, sondern das Statusbewusstsein erhöht. Dies würde auch die Resultate der Studien mit Tieren erklären: Bei Arten mit einfachem Sozialsystem kann sich erhöhtes Bewusstsein für den eigenen Status durchaus in Aggressivität ausdrücken.
Im komplexen Sozialsystem des Menschen aber sichert wohl nicht Aggression sondern soziales Verhalten den Status. Wahrscheinlich sei es nicht das Testosteron selbst, das Fairness fördere oder aggressiv mache, sondern das Zusammenspiel zwischen dem Hormon und der sozialen Umfeld, vermutet Michael Naef von der Royal Holloway London.
Vorurteil macht unfair
Die Studie zeigte zudem, dass der Volksglaube, Testosteron mache aggressiv, offenbar tief sitzt: Die Forscher fragten nämlich die Probandinnen auch, ob sie eher glaubten, Testosteron oder ein Scheinpräparat erhalten zu haben. Jene, die meinten, Testosteron bekommen zu haben, fielen durch äusserst unfaire Angebote auf.
Laut den Forschern benutzten diese Personen möglicherweise den Volksglauben als Legitimation, um sich unfair zu verhalten. "Es scheint, dass nicht Testosteron selbst zu Aggressivität verleitet, sondern vielmehr der Mythos rund um das Hormon", wird Michael Naef im Communiqué zitiert.
09.12.2009