Allergieprävention bei Kindern – Der genetische Einfluss ist höher als angenommen
Im Fachblatt ArsMedici spricht Prof. Brunello Wüthrich, Allergologe am Spital Zollikerberg, über die verschiedenen Aspekte und Massnahmen in der Allergievorbeugung bei Kindern.
Die steigende Zahl von Allergien bei Kindern wirft bei vielen Eltern Fragen auf.
Prof. Wüthrich erklärt den Stellenwert von Umwelt- und Ernährungsfaktoren und nimmt Stellung zu Rauchen und Alkohol in der Schwangerschaft, zu Vor- und Nachteilen des Stillens, der Haustierhaltung und zu Impfungen.
Tatsache ist, dass grosse Erwartungen, was eine allgemeingültige Allergieprävention betrifft, aufgrund heutiger Studienresultate reduziert werden mussten. Dennoch gibt es eine Reihe von belegten risikosenkenden Massnahmen, mit denen bereits in der Schwangerschaft begonnen werden kann.
Rauchen in der Schwangerschaft
Studien haben gezeigt, dass Säuglinge von rauchenden Müttern später häufiger an Neurodermitis oder Asthma leiden als Säuglinge, deren Mütter nicht rauchten. Ausserdem kann Passivrauchen das Lungenwachstum einschränken, was zu Atemwegsinfektionen, Mittelohrentzündungen und im schlimmsten Fall zu Kindstod führen kann.
Vorbeugen vor Milben- und Schimmelpilzallergie
Um einer Milben- oder Schimmelpilzallergie vorzubeugen, gibt es verschiedene räumliche und bautechnische Massnahmen wie das Entfernen von Teppichen, schweren Vorhängen sowie von schwer zu reinigenden Polstermöbeln. Die Luftfeuchtigkeit in der Wohnung sollte nicht mehr als 42 Prozent betragen, die Zimmertemperatur nicht mehr als 20°.
Haustiere Ja oder Nein?
Der Kontakt mit Haustieren während des ersten Lebensjahrs und mit Geschwistern ist mit einem niedrigeren Risiko für allergischen Schnupfen und Asthma im Schulalter assoziiert, das haben verschiedene Studien belegt. Allerdings warnen Immunologen und Allergologen, dass eine Familie mit einem Kind mit erhöhtem Allergierisiko sich doch nicht unbedingt ein Tier mit Fell anschaffen sollte.
Stillen, auch wenn die Mutter Allergikerin ist?
Prof. Wüthrich empfiehlt auch Allergikerinnen das Stillen, da die IgE-Antikörper der Mutter nicht in die Muttermilch übergehen. Die Muttermilch enthält aber die schützenden IgA-Antikörper, welche insbesondere vor einer Kuhmilchallergie und vor einer Neurodermitis schützen können. Verlängertes Stillen hingegen – über sechs Monate hinaus - schützt Kinder nicht vor Allergien. Im Gegenteil, langes Stillen erhöht zum Teil das Risiko für eine Neurodermitis.
Welche Milch schützt?
Ein präventiver Verzicht auf hochallergische Nahrungsmittel wie z.B. Kuhmilch, Hühnerei oder Getreide während der Stillzeit wird von pädiatrischen Immunologen nicht empfohlen. Allergikerinnen wird allerdings empfohlen, auf exzessiven Eier- oder Nussgenuss zu verzichten. Andere diätetische Einschränkungen, vor allem wenn beide Elternteile Allergiker sind, sollten vorher mit dem Allergologen oder Pädiater besprochen werden.
Alkohol während der Schwangerschaft
So oder so, während der Schwangerschaft sollte auf Alkohol verzichtet werden. Wenn beide Elternteile Allergiker sind, kann bereits ein moderater Alkoholkonsum (eine Flasche Bier oder ein Glas Wein pro Woche) das Risiko für eine Neurodermitis für das Neugeborene erhöhen. Bei mehr Drinks steigt das Risiko um das Vierfache.
Kuhmilch oder Sojamilch?
Nach wie vor fehlen wissenschaftliche Belege, wonach Ziegen-, Schaf- Pferde- oder Sojamilch den Säugling vor einer Allergie schützt. Auch diese Milchsorten enthalten Allergene und der Ernährungswert ist eher ungenügend.
Probiotika als Allergieprävention?
Laktobazillus- und Bifidusbakterien sind die bekanntesten Vertreter dieser Probiotika. Sie können problemlos verabreicht werden und verhelfen zu weichen Stühlen. Ein allergiepräventiver Effekt der Probiotika konnte bislang noch nicht ausreichend belegt werden, auch wenn einzelne Studien dafür sprechen.
Stellen Impfungen ein Risiko dar?
Eine kürzlich in Finnland durchgeführte Analyse ergab, dass junge Erwachsene, die nicht gegen Masern geimpft waren, häufiger unter Neurodermitis, Heuschnupfen und Asthma litten als die gleichaltrigen „Durchgeimpften“.
Eine andere, holländische Studie zeigte, dass bei Kindern, bei denen der reguläre Impfplan eingehalten wurde (gegen Diphtherie, Keuchhusten, Kinderlähmung, Starrkrampf und Hirnhautentzündung) kein nachteiliger Effekt auf die Entstehung von Allergien festgestellt werden konnte. Eine weitere Erhebung aus Deutschland bei über 1'300 Kindern mit Geburtsjahr 1990 zeigte sogar, dass bei Kindern, welche den gesamten Impfplan durchgemacht hatten, sogar weniger häufig Asthma und Neurodermitis festgestellt wurde.
Die Argumente, dem Kind die vom BAG empfohlenen Impfungen wegen des möglichen späteren Allergierisikos vor zu enthalten, können nicht wissenschaftlich untermauert werden. Wahrscheinlicher ist, dass der genetische Einfluss für die Entwicklung von z.B. einer Neurodermitis oder eines Asthmas, viel grösser ist als bisher angenommen.
Zum Interviewpartner: Professor Brunello Wüthrich, Allergologe im Spital Zollikerberg und ehemaliger langjähriger Leiter der Allergiestation am Universitätsspital Zürich.
02.12.2008