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Lipödem: Unproportionierte Fettansammlungen zum Beispiel als Reithose
Lipödem: Unproportionierte Fettansammlungen zum Beispiel als Reithose
Das Lipödem (von altgriechisch ''Fettschwellung'') ist eine nahezu ausschliesslich bei Frauen auftretende, in der Regel langsam voranschreitende Erkrankung. Sie ist gekennzeichnet durch eine symmetrische, aber nicht auf alle Körperregionen proportional verteilte, schmerzhafte Vermehrung des Unterhautfettgewebes. Umgangssprachlich wird das Lipödem auch als ''Reithosenfettsucht'' oder ''Säulenbein'' bezeichnet. Eine Fettgewebsvermehrung ohne Schmerzen wird Lipohypertrophie (Umfangsvermehrung durch Grössenzunahme der Fettzellen) genannt.

Der Krankheitsbeginn ist zumeist in der Pubertät, in oder nach Schwangerschaften oder in den Wechseljahren gelegen. Betroffen sind die Hüften, Oberschenkel und/oder Unterschenkel, etwas seltener auch die Oberarme und Unterarme. Das Lipödem muss streng von ernährungsbedingtem Übergewicht (Adipositas) unterschieden werden. Die Adipositas ist nicht die Ursache des Lipödems, kann aber sein Voranschreiten begünstigen.
Die Ursache des Lipödems ist letztlich nicht bekannt. Diskutiert werden genetische (erblich bedingte) und hormonelle Faktoren. So sind in 16 - 64 % der Fälle mehrere Familienmitglieder betroffen, wobei einzelne Generationen übersprungen werden können. Das Auftreten in hormonaktiven Phasen einer Frau spricht für eine Beteiligung des Östrogenstoffwechsels. In jüngster Zeit werden Schädigungen kleinster Gefässe und Nervenfasern als weitere Ursachen diskutiert.

Warum das ''Lipödem-Fett'' durch Ernährungsumstellung und Sport nicht beeinflusst werden kann, ist unklar.
 
Charakteristisch für das Lipödem ist zunächst das auffallende Missverhältnis, das heisst ein schlanker Körperstamm geht in unpassend umfangreiche Beine und/oder Arme über. Viele Frauen berichten über das Gefühl, dass ''die Gliedmassen nicht zu ihrem Rumpf passen''. Die Fettgewebsvermehrung endet immer an den Knöcheln beziehungsweise Handgelenken. Die Hände und Füsse sind nicht betroffen.

Folgende Beschwerden werden meistens angegeben:

  • Druckempfindlichkeit und Berührungsempfindlichkeit in unterschiedlichem Ausmass
  • Spontane Schmerzen
  • Schwellungen der Beine, vor allem am Abend, nach langem Stehen oder im Sommer
  • Auffallende Neigung zu Blutergüssen (Hämatomen), für die es häufig keine Erklärung gibt
  • Nur unwesentliche Umfangsabnahme nach Gewichtsreduktion und Sport
Die Diagnose wird aufgrund der Angaben der Patientin (Anamnese), des äusseren Erscheinungsbildes (Inspektion) sowie des Betastens der Beine und Arme (Palpation) gestellt. Technische Untersuchungen sind nicht erforderlich.

Zur Verlaufsdokumentation ist eine Volumenbestimmung der Gliedmassen (Perometrie) sinnvoll. Eine Ultraschalluntersuchung hilft, bedeutsame Begleiterkrankungen (Krampfadern; Zustand nach Thrombosen; sogenannte '' Schaufensterkrankheit' ' infolge arterieller Durchblutungsstörungen) nachzuweisen oder auszuschliessen.
 

Konservative Massnahmen

Die Behandlung ist zunächst konservativ und beinhaltet manuelle Lymphdrainage (eine spezielle Massagetechnik zur Stimulation der Lymphgefässe), Kompression (Verbände bzw. flachgestrickte Kompressionsteile), Gymnastik sowie Hautpflege. Man spricht hier von einer Komplexen Physikalischen Entstauungstherapie (KPE). Hierdurch können die Beschwerden häufig gelindert, sehr selten nur beseitigt werden. Das Fettgewebswachstum wird nicht beeinflusst.

Sinnvolle Ergänzungen sind eine Optimierung des Körpergewichtes, sportliche Betätigung - vor allem im Wasser (Schwimmen, Aquajogging, Aquacycling etc.) - und Verminderung der Kohlenhydratzufuhr, die nicht selten zu einer weiteren Schmerzminderung führt.

Fettabsaugung

Die Therapie der Wahl ist die Fettabsaugung (Liposuktion) in sogenannter Tumeszenz-Lokalanästhesie in der Hand eines erfahrenen Arztes:

Eine grössere Menge stark verdünnter Betäubungsmittellösung wird grossflächig ins Unterhautfettgewebe eingebracht und anschliessend das dadurch aufgelockerte und betäubte Fettgewebe mit feinen, vibrierenden Kanülen abgesaugt. Erforderlich sind in der Regel 1 bis 3 Eingriffe, selten mehr. Etwa 30 % der Patientinnen sind nach Abschluss der Behandlung vollständig beschwerdefrei und bedürfen keiner weiteren Therapie. Die übrigen 70 % sind weiterhin auf die KPE (Komplexe Physikalische Entstauungstherapie) angewiesen, jedoch in wesentlich geringerem Umfang. Hinweise auf ein erneutes Fettwachstum gibt es nach einer Beobachtungszeit von derzeit maximal 11 Jahren nicht. Die Lymphgefässe werden bei korrektem Vorgehen nicht geschädigt. Dies ist wissenschaftlich erwiesen.
 
Wird ein Lipödem über viele Jahre nicht erkannt und behandelt, so kann sich zusätzlich ein Lymphödem entwickeln. Der Mediziner spricht dann von einem Lipo-Lymphödem. Die Möglichkeiten einer operativen Therapie sind dann erheblich eingeschränkt.

Ein weiteres Problem im Krankheitsverlauf stellen Spätkomplikationen an den Gelenken dar. Durch die Fettwülste an der Oberschenkelinnenseite entwickeln die Patientinnen ein charakteristisches Gangbild, um das Aufscheuern der Haut zu vermeiden. Langfristig führt dies zu einer X-Beinstellung, d. h. der Abstand zwischen den Innenknöcheln ist grösser als die Distanz der Knieinnenseiten. Folge ist eine Arthrose der Hüftgelenke, Kniegelenke und Sprunggelenke, häufig mit der Notwendigkeit eines Gelenkersatzes.
Sinnvolle Präventionsmassnahmen existieren derzeit nicht. Wichtig sind eine frühzeitige, richtige Diagnose und Therapie. Auch eine Normalisierung des Körpergewichtes ist sinnvoll. Abzulehnen sind unsinnige Behandlungsempfehlungen wie eine eiweissarme Ernährung oder die Einnahme von Wassertabletten (Diuretika).

Dr. med. Fritz Grossenbacher

Fritz Grossenbacher hat in Bern Medizin studiert. Er besitzt einen Master of Medical Education der Universitäten Bern und Chicago und ein Zertifikat in Teaching Evidence based Medicine des UK Cochrane Center in Oxford.

Doris Zumbühl

Doris Zumbühl ist diplomierte Medizinische Praxisassistentin. Sie verfügt über mehrere Weiterbildungen in den Bereichen Journalismus, IT und Bildbearbeitung.
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