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Tourette Syndrom: motorische oder verbale Tics durch Gehirnreifungsstörung
Tourette Syndrom: motorische oder verbale Tics durch Gehirnreifungsstörung

Beim Tourette-Syndrom kommt es zum Auftreten von vokalen (sprachlichen) und motorischen Tics. Unter motorischen Tics versteht man plötzliche, rasche Bewegungen, die unwillentlich erfolgen und immer wieder in gleicher Weise ausgeführt werden. Bei den sprachlichen Tics werden bedeutungslose Laute, Wörter oder Sätze ausgestossen, ohne dass der Betroffene dies bewusst unterdrücken kann. Für die Diagnose eines Tourette-Syndroms müssen mindestens zwei motorische und ein vokaler Tic bestehen.

Bereits die alten Griechen kannten diese Erkrankung, wobei für das Auftreten der Tics die Götter verantwortlich gemacht wurden. Das Syndrom wurde nach dem Neurologen Georges Gilles de la Tourette benannt, der 1885 das Tourette-Syndrom von der Epilepsie abzugrenzen vermochte. Die Krankheit beginnt meist um das siebte Lebensjahr, in jedem Fall aber vor dem 21. Lebensjahr. Knaben sind aus bisher nicht bekannten Gründen etwa zehn mal häufiger betroffen als Mädchen.

Man vermutet, dass beim Tourette-Syndrom auf Grund einer Gehirnreifungsstörung die Bewegungskontrolle im Gehirn gestört ist. Untersuchungen zeigten, dass die entsprechenden Bereiche im Gehirn der Betroffenen anders ausgebildet oder durchblutet sind als diejenigen von gesunden Menschen. Auch scheinen einige Störungen bei den Botenstoffen zur Informationsweiterleitung im Gehirn, Dopamin und Serotonin, am Auftreten der Erkrankung beteiligt zu sein. Die genauen Abläufe im Gehirn, die die Tics auslösen, sind jedoch noch nicht geklärt.

Bei der genetischen Form des Torette-Syndroms bestehen Hinweise darauf, dass Mutationen im Gen SLITRK1 auf Chromosom 13q31.1 die normale Ausbildung von Nervenzellen behindern. Als sicher gilt, dass ein Elternteil, das am Tourette-Syndrom leidet oder die Veranlagung dazu in seinem Erbmaterial hat, dies mit einer 50%igen Wahrscheinlichkeit weitervererbt. Der Grad des Ausbruchs der Erkrankung ist jedoch geschlechtsabhängig. Söhne solcher Eltern entwickeln 4 mal häufiger eine Ticstörung als Töchter. Allerdings geht man davon aus, dass nur 10% der Kinder mit einer solchen genetischen Veranlagung ein so ausgeprägtes Krankheitsbild entwickeln, dass die Ticstörungen als solche erkannt werden.

In 90% aller Fälle treten die ersten Krankheitszeichen vor dem 11. Lebensjahr auf, meist im Alter von 4-7 Jahren. Am Beginn stehen "unverdächtiges" Augenzwinkern, ruckartige Bewegungen oder Ähnliches. Bei etwa der Hälfte der Betroffenen nehmen die Tics allmählich zu und erreichen während der Pubertät bzw. bis zum 26. Lebensjahr ihren Höhepunkt. Bei einigen Menschen verschwinden die Tics wieder völlig, zumindest treten bei den meisten (70%) die Symptome mit dem Erwachsenenalter seltener auf.

Stresssituationen können die Tics verstärken. Allerdings kommt es auch oft in Phasen der Entspannung  zu einer Zunahme der Tics. Es gibt Zeiten, in denen die Tics vorübergehend nachlassen oder sogar ganz verschwinden, um dann plötzlich wieder aufzutreten.

Häufig vermuten Eltern oder Personen aus dem Umfeld dahinter psychologische Ursachen. Die Palette der Selbstvorwürfe der Eltern kann von Erziehungsfehlern bis hin zur falschen Ernährung reichen.

Der Schweregrad der Erkrankung wird mit Hilfe der Tourette-Syndrom-Globalskala (TSGS) ermittelt. Dazu wird das Verhalten des Betroffenen zu Hause und in der Schule, die Häufigkeit der Tics und die Beeinträchtigung des Betroffenen beurteilt.

  • Gering ausgeprägtes Tourette-Syndrom: Die Ticstörungen beeinträchtigen das Verhalten in der Schule nicht, sie werden von Aussenstehenden kaum bemerkt und nicht als Problem empfunden. Es ist keine Behandlung erforderlich.
  • Mässig ausgeprägtes Tourette-Syndrom: Die Tics fallen anderen auf und lösen meist soziale Probleme aus. Sie beeinträchtigen teilweise das Ausführen von Tätigkeiten, in der Schule gibt es Probleme.
  • Schwer ausgeprägtes Tourette-Syndrom: Ticstörungen sind ein auffälliges Merkmal der Person, beeinflussen Kontakte und die Leistungsfähigkeit in der Schule. Eine Behandlung ist meistens erforderlich.

Begleiterkrankungen

Das Tourette-Syndrom wird häufig begleitet von anderen Erkrankungen: dem  Aufmerksamkeits-Defizit-Hyperaktivitäts-Syndrom (kurz ADHS bei 50 bis 75% der Erkrankten), Zwangserkrankungen (30 bis 65%),  Lernschwierigkeiten (23 bis 24%), Angststörungen (19%), Schlafstörungen (14 bis 26%), Aggressionen gegen sich selbst (14 bis 33%) oder Depressionen.

Auswirkungen

Eltern üben oft auf ihre erkrankten Kinder einen ungewollten Druck aus. Sie leiden häufig mehr unter der Erkrankung als das betroffene Kind und wünschen, diese Tics irgendwie abstellen zu können. Damit wird oft genau das Gegenteil erreicht, da die Kinder in eine Stresssituation kommen, wodurch die Tics zunehmen und der Teufelskreis sich schliesst.

Für die Kinder ist es wichtig, das Gefühl zu bekommen, dass sie auch mit ihren Tics angenommen werden. In der Regel entwickeln die Betroffenen im Laufe der Jahre Techniken, die das Leben mit dieser Krankheit erleichtern. Dazu ist ein entspanntes Umfeld hilfreich.
 
Tourette-Kinder haben keine geistigen Einschränkungen, jedoch bestehen trotzdem oft Schwierigkeiten beim Lernen. Vermutlich werden sie durch ihre Tics z.B. beim Schreiben oder im sozialen Umgang mit Klassenkameraden behindert. Hinzu kommt, dass viele Kinder mit Tourette-Syndrom auch unter einem Aufmerksamkeits-Defizit-Hyperaktivitäts-Syndrom (ADHS) leiden.

Die Diagnose wird durch die Symptome und den bisherigen Verlauf der Erkrankung gestellt. Abzugrenzen ist das Tourette-Syndrom von anderen Bewegungsstörungen .

Es gibt bisher keine Tests (Blutuntersuchungen, neurologische oder psychologische Tests) um das Tourette-Syndrom festzustellen. Lediglich das Vorhandensein anderer Erkrankungen kann mit einem Elektroenzephalogramm (z. B. Ausschluss einer Epilepsie) und weiteren medizinischen Untersuchungen ausgeschlossen werden. Als Unterstützung für den Arzt wurden Fragebogen und Schätzskalen entwickelt, die dem Arzt erlauben, die Form und den Schweregrad der Erkrankung zu beurteilen.

Eine Therapie zur Heilung gibt es bisher nicht. Die meisten Kinder mit Tourette-Syndrom werden durch ihre Tics nicht wesentlich beeinträchtigt und benötigen deshalb keine Medikamente.

Medikamentös: Falls doch Medikamente notwendig sind, stehen verschiedene Wirkstoffe zur Verfügung, die je nach Symptomatik individuell abgestimmt werden müssen. Die Schwierigkeit der medikamentösen Behandlung ist, dass die Tourette-Kinder sehr unterschiedlich auf die Medikamente reagieren können und die richtige Dosierung individuell gefunden werden muss. Darüber hinaus kann durch das Schwanken der Symptome auch eine andere Dosierung nötig werden. Sind die Tics besonders stark oder neigen die Patienten zur Selbstverletzung, können u.a. Dopaminantagonisten (z.B. Neuroleptika) helfen. Sie hemmen das Informationssystem im Gehirn, dessen Botenstoff das Dopamin ist. Gerade mit neueren, so genannten atypischen Neuroleptika konnten in einigen Studien Behandlungserfolge erzielt werden. Auch Substanzen zur Behandlung des Aufmerksamkeits-Defizit-Hyperaktivitäts-Syndrom (ADHS) haben sich bewährt, können aber je nach dem die Tics auch verstärken. Die meisten Medikamente haben Nebenwirkungen wie Müdigkeit, Appetitsteigerung mit Gewichtszunahme, Schwindel , Konzentrationsminderung, oder Muskelsteifheit.

Entspannung lernen: Entspannungsverfahren, Biofeedback-Techniken und andere verhaltenstherapeutische Vorgehensweisen können helfen, die Stressreaktionen zu vermindern und die Selbstkontrolle über die Tics zu verbessern.

Operationen helfen selten: Nur bei extremen Fällen, die medikamentös nicht mehr zu beeinflussen sind, werden spezielle Hirnoperationen in Betracht gezogen. Nur in einzelnen Fällen konnte mit dieser Methode aber eine Besserung erzielt werden.

Aktuell wird auch Botulinumtoxin getestet, ein Bakteriengift, das Muskellähmungen hervorruft. Es zeigte Erfolge bei der Behandlung von Tics im Gesichts- und Kopfbereich. Die Injektionen müssen regelmässig wiederholt werden, da die Wirkung mit etwa 3-4 Monaten zeitlich begrenzt ist.

Dr. med. Gerhard Emrich

Gerhard Emrich hat in Wien Medizin studiert. Er ist Medizinjournalist mit langjähriger Erfahrung in medical writing.

Dr. med. Daniel Desalmand

Daniel Desalmand hatte in Bern Medizin studiert. Nach dem Studium hatte er mehrjährige klinische Erfahrung in Chirurgie und Innerer Medizin erworben bevor er sich dem Wissenschaftsjournalismus zugewandt hatte.

Doris Zumbühl

Doris Zumbühl ist diplomierte Medizinische Praxisassistentin. Sie verfügt über mehrere Weiterbildungen in den Bereichen Journalismus, IT und Bildbearbeitung.
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