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Harnverlust ist meist ein Zeichen von Balsenschwäche oder anatomischen Veränderungen
Harnverlust ist meist ein Zeichen von Balsenschwäche oder anatomischen Veränderungen
Ungewollter Harnabgang bedeutet, dass die Kontrolle über die Blase nicht mehr vollständig ist. Grundsätzlich können zwei Mechanismen zur Urininkontinenz führen. Einerseits können Veränderungen in der Anatomie (z.B. Gebärmuttersenkung, Operationen an der Blase oder Prostata) dazu führen, dass der Schliessmechanismus der Blase beeinträchtigt ist. Andererseits können Beeinträchtigungen der Nerven (nach langjährigem Diabetes, bei Multipler Sklerose, nach Hirnschlag) die Kontrolle über den Harnabgang stören.

Harnverlust bedeutet ein unfreiwilliger Urinnabgang, der von leichtem Harntröpfeln bis hin zum vollständigen Einnässen reichen kann. Der Arzt spricht auch von Harninkontinenz.

Es gibt verschiedene Formen der Harninkontinenz:

  • Belastungsinkontinenz (=Stressinkontinenz, Blasenschwäche): Bei Frauen ist dies die häufigste Form. Bei körperlicher Anstrengung wie Husten, Niesen, Lachen, Treppensteigen, Heben oder beim Sport kommt es zum unfreiwilligen Harnabgang, ohne dass ein spürbarer Harndrang verspürt wird.
  • Dranginkontinenz (=Reizblase): Bereits bei geringer Harnblase nfüllung tritt ein starker, kaum unterdrückbarer Harndrang auf. Dies führt zum häufigen Wasserlassen (auch nachts), wobei oft nur geringe Urinmengen ausgeschieden werden. Ein ungewollter Harnabgang kann auftreten, muss aber nicht. Diese Form ist bei Männern häufiger und ist die Folge einer überaktiven Blase.
  • Mischinkontinenz. Belastungs- plus Dranginkontinenz
  • Überlaufinkontinenz: Trotz voller Blase und Harndrang bestehen Startschwierigkeiten beim Wasserlassen und es kommen nur wenige Tropfen. Hier ist die Ursache meist eine Abflussstörung des Urins aus der Harnblase.
  • Spezielle Formen: bei bestimmten Nervenerkrankungen oder nach einer unfallbedingter Rückenmarksverletzung geht infolge einer Nervenschädigung die willentliche Kontrolle der Blasenentleerung verloren.

Starker Harnverlust führt oft zu Schamgefühlen und ist psychisch belastend. Die Folgen sind sozialer Rückzug, Vermeidung von längeren Aufenthalten ausserhalb der häuslichen Umgebung bis hin zu Depressionen.

Begleitsymptome: Schmerzen beim Wasserlassen (bei Harnwegsinfekten), Blut im Urin (bei Harnwegsinfekten, Blasentumor, nach Operationen)

Eine Belastungsinkontinenz wird bei Frauen meist durch eine allgemeine Schwäche der Beckenbodenmuskulatur, die den Verschluss der Harnblase ermöglicht, verursacht. Bei körperlichen Belastungen steigt der Druck im Bauchraum, und damit der Druck auf die Blase. Der geschwächte Verschlussmechanismus der Blase kann dem Druck nicht mehr standhalten und es kommt zum ungewollten Harnverlust.

Bei Männern tritt eine Belastungsinkontinenz als Folge einer Schädigung des Blasenschliessmuskels bei Operationen im Beckenbodenbereich (z.B. wegen Prostatakrebs) auf.

Ursachen für eine geschwächte Beckenbodenmuskulatur bei Frauen sind:

  • Angeborene Bindegewebsschwäche im Harnblasenbereich
  • Mehrere vaginale Geburten
  • Übergewicht, Bewegungsmangel
  • Gebärmuttersenkung, Scheidenvorfall
  • Hormonumstellung in den Wechseljahren (Östrogenmangel)
  • Verletzungen des Blasenschliessmuskels (z.B. bei Unterleibsoperationen)
  • Erkrankungen, die eine Druckerhöhung im Bauchraum bewirken, wie chronische Verstopfung (Pressen beim Stuhlgang) oder ständiger Husten bei chronischer Bronchitis

Die Ursachen einer Dranginkontinenz ("Reizblase") sind entweder ein überaktiver Blasenmuskel (Entleerungsmuskel) oder eine Erkrankung des Gehirns oder der Nerven, die für die Steuerung der Blasentätigkeit zuständig sind.

Häufige Ursachen einer Dranginkontinenz:

Bei der Überlaufinkontinenz kann sich die Blase nicht mehr richtig entleeren, es kommt zum "überlaufen". Entweder besteht ein Hindernis am Blasenausgang, das den Abfluss des Urins aus der Harnblase behindert. Oder es besteht eine Fehlfunktion/Schwäche der Blasenmuskulatur (Entleerungsmuskel), wodurch sich die Blase nicht mehr ausreichend zusammenziehen kann.

Häufige Ursachen einer Überlaufinkontinenz (Abflussbehinderung):

Das Auftreten einer Harninkontinenz kann nicht in allen Fällen vermieden werden. Jedoch können insbesondere Frauen einige Massnahmen ergreifen, um einer Harninkontinenz vorzubeugen oder eine solche zu verbessern.

Dazu gehören:

  • Gewichtsreduktion bei Übergewicht zur Entlastung des Beckenbodens
  • Regelmässige körperliche Bewegung
  • Beckenbodentraining (bereits in jungen Jahren, insbesondere bei sitzenden Berufen)
  • Nach Entbindung frühzeitige Rückbildungsgymnastik/Beckenbodentraining
  • Vermeidung von blasenreizenden und harntreibenden Getränken wie Alkohol, Kaffee und Schwarztee
  • Vermeidung von chronischer Verstopfung (Ernährungsumstellung auf ballaststoffreiche Kost)
  • Vermeidung eines chronischen Hustens (Rauchstopp)
  • Vorbeugende Untersuchungen sind zu empfehlen, um frühzeitig präventive Massnahmen zu ergreifen

Eine Harninkontinenz ist in den meisten Fällen behebbar oder kann zumindest verbessert werden. Voraussetzung ist eine frühzeitige Untersuchung und Behandlung durch einen Facharzt. Der Weg zum Arzt sollte bei Harnverlust nicht aus falscher Scham gescheut werden.

Eine medizinische Abklärung ist in folgenden Situationen ratsam:

Welcher Arzt ist zuständig?


Um sich ein genaueres Bild von den aktuellen Beschwerden und den möglichen Ursachen zu machen, stellt der Arzt zu Beginn Fragen zur Krankengeschichte (Anamnese). Der Anamnese folgt eine körperliche Untersuchung mit einfachen Hilfsmitteln (Betrachten, Abtasten, Abhören, Abklopfen, Funktionsprüfungen, etc.). Ausgehend von der Anamnese und der körperlichen Untersuchung können w Eiter e spezielle Untersuchungen folgen.

Erhebung der Krankengeschichte (Anamnese)

  • Fragen zum Harnverlust selbst: seit wann, bei welchen Tätigkeiten und wie viel Urin geht verloren, besteht auch ein Harndrang, Trinkverhalten (v.a. Kaffee, Schwarztee, Alkohol), Häufigkeit und Auffälligkeiten beim Wasserlassen (Schmerzen, Blut im Urin, abgeschwächter Harnstrahl, Gefühl der unvollständigen Harnentleerung, etc.)
  • Vorerkrankungen, Unfälle, Operationen Harn- oder Geschlechtsorgane
  • Lebensgewohnheiten (Schlaf, Ernährungs- und Trinkverhalten)
  • Allergien und Unverträglichkeiten
  • Erkrankungen in der Familie
  • Medikamenteneinnahme
  • Schwangerschaften, frühere Entbindungen

Körperliche Untersuchung

Zur gründlichen allgemeinen Untersuchung gehört auch das Abtasten der Blase und der umgebenden Organe. Bei Frauen wird zusätzlich die Beckenbodenmuskulatur beurteilt, bei Männern wird die Prostata mit dem Finger getastet. In der Regel erfolgt bei Frauen auch eine Untersuchung beim Frauenarzt.

Weitere Diagnostik/spezielle Untersuchungen

  • Urinuntersuchung auf Bakterien, Blut, Eiter (Entzündung, Nierenfunktionsstörung)
  • Blutuntersuchung (Blutzucker, Nierenwerte)
  • Ultraschalluntersuchung der Harnblase und umliegenden Organe (Nieren, Gebärmutter, Prostata)
  • Restharnbestimmung: Mittels Ultraschall wird unmittelbar nach dem Wasserlassen geprüft, ob und wie viel Urin in der Blase zurück bleibt
  • Spezielle Messungen der Blasenfunktion: Blasendruckmessung (Zystometrie), Harnflussmessung (Uroflowmetrie), Blasen- und Schliessmuskelfunktionsprüfung (Urodynamik)
  • Blasenspiegelung (Zystoskopie)
  • Röntgen der Nieren, der Blase und ableitenden Harnwege mit Kontrastmittel)
Mehr Informationen zur Abklärung (Diagnostik) finden Sie in den jeweiligen Krankheitsbildern

Die Behandlung bei Harnverlust richtet sich nach der Ursache sowie nach der Form und Schwere der Inkontinenz.

Bei der Belastungsinkontinenz stehen das Beckenbodentraining und andere physiotherapeutische Behandlungen im Vordergrund. Manchmal lässt sich die Inkontinenz aber nur durch eine Operation beheben. Bei der Dranginkontinenz werden durch ein Verhaltenstraining (Biofeedbacktraining) in Verbindung mit Medikamenten gute Erfolge erzielt.

Folgende Behandlungsmöglichkeiten kommen einzeln oder kombiniert in Frage:

Physiotherapie und andere nicht medikamentöse Behandlungen

  • Beckenbodengymnastik zur Kräftigung des Beckenbodens
  • Beckenbodentraining mit Elektrostimulation (die schwache Beckenbodenmuskulatur wird mit nicht schmerzhaften Reizstrom "trainiert")
  • Biofeedbacktraining (Übungen zur Verbesserung der willkürlichen Kontrolle der Blase)
  • Toilettentraining
  • Rückbildungsgymnastik im Wochenbett
  • Inkontinenzeinlagen oder spezielle Harnableitesysteme (Selbstkatheterisierung)
  • Scheide npessar: Kunstoffkonus, der in die Scheide eingesetzt wird, z.B. zur Korrektur einer Gebärmuttersenkung
  • Rückbildungsgymnastik im Wochenbett

Medikamentöse Therapie

  • Antibiotika bei bakteriellen Infektionen, wie Harnwegsinfekt oder Prostata entzündung (Prostatitis)
  • Östrogenhaltige Vaginalcreme oder -Zäpfchen bei Östrogenmangel der Frau während und nach den Wechseljahren
  • Bei Belastungsinkontinenz: Medikamente zur Verbesserung der Schliessmuskelfunktion
  • Bei Dranginkontinenz: Medikamente zur Dämpfung der überaktiven Blase
  • Medikamentöse Behandlung anderer Grunderkrankungen wie chronische Lungenerkrankungen (z.B. COPD, Raucherlunge) oder Zuckerkrankheit (Diabetes)

Operation

Manchmal kann eine Inkontinenz nur durch eine Operation behoben werden.

  • Bei der Stressinkontinenz kommt am häufigsten die sogenannte Schlingen- oder Bandoperation zum Einsatz. Dabei wird ein Kunstoffband um die Harnröhre geschlungen, das die Schliessmuskelfunktion der Harnröhre unterstützt. Damit kann in den meisten Fällen die Inkontinenz behoben werden. Der kleine Eingriff kann ambulant in örtlicher Betäubung durchgeführt werden.
  • Wird die Inkontinenz durch eine Abflussbehinderung verursacht (z.B. vergrösserte Prostata oder einen Tumor), ist ein operativer Eingriff zur Beseitigung des Hindernisses notwendig.
  • Nach Verletzungen des Harnblasenschliessmuskels ist die Implantation eines künstlichen Schliessmuskels möglich.

Dr. med. Fritz Grossenbacher

Fritz Grossenbacher hat in Bern Medizin studiert. Er besitzt einen Master of Medical Education der Universitäten Bern und Chicago und ein Zertifikat in Teaching Evidence based Medicine des UK Cochrane Center in Oxford.

Doris Zumbühl

Doris Zumbühl ist diplomierte Medizinische Praxisassistentin. Sie verfügt über mehrere Weiterbildungen in den Bereichen Journalismus, IT und Bildbearbeitung.
   
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